Grundsatzurteil zum non bis in idem-Prinzip in Luxemburger GW/TF-Verfahren

Einleitung

Am 26. Februar 2025 erließ das Luxemburger Berufungsgericht ein wegweisendes Urteil im Bereich der Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (GW/TF) bezüglich der Anwendung des non bis in idem Prinzips, wenn sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen für dasselbe Verhalten verhängt werden. Dieser Bericht analysiert die Details des Falls, die rechtliche Begründung und die Auswirkungen auf den Finanzsektor und den regulatorischen Rahmen.

Hintergrund

  • Das Finanzinstitut SOCIETE1. S.A., das eine Luxemburger Niederlassung betreibt, wurde am 27. Juli 2020 von der Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF) mit einer Geldbuße von 170.000 € wegen Verstößen gegen das GW/TF-Gesetz vom 12. November 2004 belegt.
  • Anschließend wurden 2024 Strafverfahren gegen SOCIETE1. wegen identischer Verstöße nach demselben Gesetz eingeleitet.

Rechtsgrundsatz: non bis in idem

Das non bis in idem Prinzip, geschützt durch luxemburgisches Recht, EU-Recht (Artikel 50 der EU-Grundrechtecharta) und internationale Verträge (Artikel 4 Protokoll Nr. 7 EMRK, Artikel 14(7) ICCPR), verbietet die doppelte Strafverfolgung oder Bestrafung für dieselbe Straftat. Das Gericht berücksichtigte drei kumulative Kriterien:

  1. Art der Sanktion: Die Verwaltungssanktion muss strafrechtlicher Natur sein.
  2. Identität der Sachverhalte: Die zugrundeliegenden Sachverhalte in beiden Verfahren müssen identisch oder zumindest weitgehend übereinstimmend sein.
  3. Keine Ausnahmen: Es gelten keine Ausnahmen vom non bis in idem Prinzip.

In diesem Fall:

  • Das Gericht stellte fest, dass die verwaltungsrechtliche Geldbuße der CSSF aufgrund ihrer Schwere (170.000 €) und ihres repressiven Zwecks strafrechtlicher Natur war und damit die Engel-Kriterien erfüllte (die Qualifikation nach nationalem Recht ist zweitrangig; Fokus liegt auf objektiver Natur, Schwere und prozessualer Ähnlichkeit).
  • Die Sachverhalte in beiden Verwaltungs- und Strafverfahren überschnitten sich wesentlich; insbesondere waren die strafrechtlichen Vorwürfe vom Umfang der Verwaltungssanktion umfasst.
  • Es existierte kein rechtlicher Rahmen zur Koordinierung der Maßnahmen von CSSF und Staatsanwaltschaft, der kumulative Sanktionen ermöglicht hätte.

Gerichtsentscheidung

Das Luxemburger Berufungsgericht:

  • Erklärte das Strafverfahren gegen SOCIETE1. nach dem non bis in idem Prinzip für unzulässig.
  • Urteilte, dass die Verhängung sowohl einer Verwaltungssanktion mit strafrechtlichem Charakter als auch einer nachfolgenden strafrechtlichen Sanktion für dasselbe Verhalten gegen dieses Prinzip verstößt.
  • Stellte fest, dass weder das luxemburgische Recht noch die Verfahrensvorschriften Mechanismen zur Koordinierung oder Begrenzung kumulativer Sanktionen zwischen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden in GW/TF-Fällen vorsehen.
  • Folglich reformierte das Gericht die frühere Verfügung und wies die Strafverfolgung aus diesen Gründen ab.

rechtliche Analyse - Kernpunkte des Falls

Aspekt Details & Referenzen
Grundlage CSSF-Sanktion Artikel 2-1(1), 8-4(1)-(3) des Gesetzes vom 12. Nov 2004
Grundlage Strafanklage Artikel 2-2(1), 3, 5(1) des Gesetzes vom 12. Nov 2004
maximale Verwaltungsgeldbuße bis zu 5.000.000 € oder 10% Jahresumsatz (Art. 8-4(3))
maximale Geldstrafe bis zu 10.000.000 € für juristische Personen (Art. 9 + StGB Art.36)
angewandte Engel-Kriterien CSSF-Sanktion als strafrechtlich bestätigt wegen repressivem Zweck und Schwere
Sachverhaltsidentität Strafrechtliche Sachverhalte in umfassenderen Verwaltungsfeststellungen enthalten
Koordinierungserfordernis im geltenden luxemburgischen Recht nicht vorhanden

Auswirkungen auf den Finanzsektor

Rechtssicherheit

  • Regulierte Unternehmen erhalten Klarheit darüber, dass nach rechtskräftiger Verwaltungssanktion mit strafrechtlichem Charakter eine weitere strafrechtliche Verfolgung für identische Sachverhalte ausgeschlossen ist.
  • Verbessert die Vorhersehbarkeit im Compliance-Risikomanagement und bei der Sanktionsexposition.

Koordination zwischen Behörden

  • Das Urteil offenbart eine gesetzliche Lücke bei der Koordination zwischen CSSF und Staatsanwaltschaft bei der GW/TF-Durchsetzung und
  • könnte Reformen zur Einführung prozessualer oder rechtlicher Rahmen zur Verhinderung von Doppelverfolgungen anstoßen.

breitere Auswirkungen

  • Dieser Präzedenzfall wird wahrscheinlich die Durchsetzungspraxis über GW/TF hinaus beeinflussen, einschließlich Wettbewerbsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Datenschutz, wo sich überschneidende Sanktionen auftreten können.

Fazit

Die Entscheidung des Berufungsgerichts markiert eine wichtige Entwicklung in der luxemburgischen GW/TF-Durchsetzung durch die Stärkung des Schutzes vor Doppelbestrafung in Finanzstrafsachen. Sie unterstreicht die Notwendigkeit rechtlicher und prozessualer Reformen zur besseren Koordinierung der verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionsregime. Finanzinstitute sollten ihre Compliance-Strategien unter Berücksichtigung dieses Urteils neu bewerten und wachsam bleiben für weitere regulatorische Aktualisierungen.


Referenzen aus der Falldokumentation

  • Entscheidung: Arrêt n°106/25 Ch.c.C. XI, 26. Februar 2025
  • anwendbares Recht: Gesetz vom 12. November 2004 über GwG/CFT (Artikel 2-1, 2-2, 3, 5, 8-4, 9)
  • internationale Bestimmungen: Artikel 4 Protokoll Nr.7 EMRK; Artikel 14(7) ICCPR; Artikel 50 EU-Charta
  • Engel-Kriterien: Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs Engel et autres c. Pays-Bas (8. Juni 1976)
  • Verfahrensdetails: Berufung für zulässig und begründet erklärt; Strafverfolgung aufgrund non bis in idem für unzulässig erklärt.

vertiefende Informationen

  • CSJ Chambre du Conseil de la Cour d’appel, Arrêt n° 106/25 Ch.c.C. XI. du 26 février 2025. (Not.: 6264/18/CD) ¦ Link